Rückblick

(entnommen aus der Festschrift: 20. Kreistreffen am 27. & 28. Juni 1981 in Langgöns)

Im 12. Jahrhundert wurden von dem Przemyslidenkönig Ottokar II Sielungswillige aus den deutschen Nachbargebieten außerhalb der Grenzen in die böhmischen Länder gerufen, um die damals noch menschenleeren Wälder der Randgebiete zu roden und zu besiedeln. Diese Kolonisation hatte friedlichen Charakter. Die Deutschen haben bei der Landnahme die im Landesinneren bereits ansässige Slawen weder verdrängt noch behindert. Sie haben neben ihnen lediglich eine neue Kulturlandschaft geschaffen und damit auch für ihre Nachkommen ein Heimatrecht erworben.

Der böhmisch-mährische Raum, ein deutsch-tschechischer Zwei-Völker-Raum, bildete durch das ganze Spätmittelalter und die Neuzeit eine besonders geprägte Kulturlandschaft. Das Königreich Böhmen, die Markgrafschaft Mähren und auch das Herzogtum Schlesien waren in das deutsche Königreich eingegliedert und trotz immer wieder auftauchender nationaler Spannungen blieben diese Länder ein Kulturraum erst Ordnung in Mitteleuropa. Die vollständige kulturelle Differenzierung der beiden Völker entstand erst im Zeitalter des Nationalismus. Das Jahr 1848 ist das Jahr der Entstehung der eigentlichen tschechischen Nation und der sudetendeutschen Volksgruppe. Führende tschechische Kreise wandten sich ab 1948 einer Ideologie zu, die als Slawismus bezeichnet wird. In Verbindung mit dem Nationalismus entstand bei tschechischen Volk weitgehend die Vorstellung, dass die böhmischen Länder, also auch die sudetendeutschen Heimatgebiete, dem tschechischen Volke gehörten. Dies war die Ursache, dass auch die Sudetendeutschen künftig ihr Nationalbewusstsein stärkten und ihr geschlossenes Siedlungsgebiet verteidigten.

Nach Beendigung des 1. Weltkrieges ging mit Unterstützung der Siegermächte der Traum des tschechischen Volkes in Erfüllung und am 28. Oktober 1918 wurde die Unabhängigkeit des neuen tschechoslowakischen Staates ausgerufen. Im Vertrauen auf die 14 Punkte Wilsons meldeten die Sudetendeutschen ihr Recht auf Selbstbestimmung an. Doch die Tschechen lehnten jede Autonomie des in sich geschlossenen deutschen Siedlungsgebietes ab und besetzten das Sudetenland durch tschechische Legionäre. Der Zustand wäre trotzdem noch erträglich geblieben, wenn die Tschechen den Sudetendeutschen die selben Rechte eingeräumt hätten wie ihrem eigenen Volk. Die neue Republik war aber von allem Anfang an deutschfeindlich eingestellt. Dies wurde sehr bald spürbar. Von den durch das tschechische Bodenenteignungsgesetz beschlagnahmten Grundvermögen wurden in den 20er Jahren nur 600 ha an deutsche Bewohner abgegeben, während sich die Tschechen 240.000 ha unter sich aufteilten, obwohl die enteigneten Grundflächen fast ausschließlich im deutschen Sprachgebiet lagen. Sofort nach Gründung der Republik wurden rund 60.000 deutsche Beamte aus dem Staatsdienst entlassen und dafür Tschechen eingesetzt, welche im deutschen Sprachgebiet Dienst taten, ohne ein Wort Deutsch zu verstehen. Trotzdem die tschechoslowakische Republik aus der Erbmasse der zerstörten Monarchie 90 % des Industriepotentials, das zum weit größten Teil im Sudetenlang etabliert war, erhalten hatte, waren die wirtschaftlichen und sozialen Zustände in den 30er Jahren äußerst schlecht geworden. Auch durch die finanzielle Unterstützung von außen, insbesondere durch Frankreich, war die Regierung nicht fähig, einen selbstständigen Staat aufzubauen. Als die damalige Weltwirtschaftskrise das Elend noch steigerte, spürten vor allem die Deutschen im Lande den tschechischen Egoismus. Von den damaligen 800.000 Arbeitslosen waren nicht weniger als 500.000 Sudentendeutsche. Von 3,5 Millionen Sudetendeutschen war jeder sechste arbeitslos, dagegen war von den 11 Millionen nichtdeutschen nur jeder 36. ohne Arbeit. Dies alles sind nicht wegzuleugnende Tatsachen, welche immer mehr zur Verschlechterung der Lebensverhältnisse im Sudetenland beigetragen haben. Insgesamt 22 Klagen haben die sudetendeutschen Politiker an den Völkerbund gerichtet. Aber nicht ist geschehen. Alle Anstrengungen der vier deutschen politischen Parteien des Sudetenlandes, welche sich redlich um einen Ausgleich mit den Tschechen bemühten, blieben erfolglos. Als Folge dieses Notstandes reifte der Gedanke, für ein geschlossenes Zusammengehen aller Sudetendeutschen.

Nur so ist es zu verstehen, dass die im Jahre 1933 von Konrad Henlein gegründete "Sudetendeutsche Heimatfront", die zur Sammlung aller Sudetendeutschen aufrief, einen aufsehenerregenden Erfolg hatte. Den Tschechen war die Bezeichnung "Sudetendeutsche Heimatfront" nicht genehm und so ordneten sie an, dass aus dieser Volksbewegung die "Sudetendeutsche Partei" entstand. Jetzt vereinigten sich in ihr auch die Mitglieder der Deutschen Sozialdemokratischen Partei, die Deutsche Christlichsoziale Partei, der Bund der Landwirte und die Deutsche Gewerbepartei. Man erkannte auf deutscher Seite, dass ein Untergang der sudetendeutschen Volksgruppe im slawischen Sog auf jeden Fall verhindert werden muss. Bei den Parlamentswahlen am 19. Mai 1935 erhielt die Sudetendeutsche Partei, trotz aller Behinderungen von tschechischer Seite, mehr als 2/3 Mehrheit des deutschen Lagers und wurde mit 1,25 Millionen Stimmen die stärkste Partei der Tschechoslowakischen Republik. Auch dieser Wahlerfolg hatte keine Rückwirkung auf eine Umbildung der Republik. Es war für die Tschechen gegenüber dem Ausland beschämend, dass die Deutschen die Führungspartei in der Volksversammlung des Parlaments geworden war.

Am 24. April 1938 trug die Sudetendeutsche Partei mit dem Karlsbader Programm das Begehren nach Selbstverwaltung innerhalb der tschechoslowakischen Republik nochmals vor. Es war eine geschichtliche Stunde. Der Bestand des Staates wäre gesichert worden und Hitler hätte als Anwalt dieser Volksgruppe ausgeschalten werden können. Doch Staatspräsident Benesch lehnte erneut ab. Am 21. Mai 1938 ließ Benesch sogar teilweise mobilisieren, um die freien und demokratischen Wahlen in die Gemeindevertretungen unter militärischen Druck stattfinden zu lassen. Trotz dieser Behinderung erhielt die Sudetendeutsche Partei rund 92 % aller deutschen Stimmen bei diesen Gemeindewahlen.

Nunmehr forderten die Westmächte endlich von Prag eine Verständigung mit den Sudetendeutschen. England entsandte Lord Runceman als Vermittler nach Prag. Sein Bericht über die Deutschen lautete u. a.: ... es ist hart, von einem fremden Volk regiert zu werden und er habe den Eindruck bekommen, dass die tschechische Herrschaft in den vergangenen Jahren gekennzeichnet war durch Taktlosigkeit, Mangel an Verständnis, kleinliche Unduldsamkeit und Diskriminierung.

Vor dem 21. Mai 1938 hatte Hitler kein bemerkenswertes Interesse an der Sudetenfrage bekundet und es wäre nach Lord Runceman ohne weiteres möglich gewesen, die Frage ohne Einmischung Deutschlands zu lösen. Auch diesmal zeigte die tschechische Regierung keine Bereitschaft. Die Sudetenfrage war nunmehr zum internationalen Problem geworden. Die Interventionen Englands und Frankreichs waren dabei nicht nur allein ihren Bemühungen um die Erhaltung des europäischen Friedens gekennzeichnet, sondern es stand nunmehr auch die Revision der eigenen früheren Fehlentscheidungen des Friedensvertrages von Saint Germain vom 10. September 1919 zur Debatte. England und Frankreich wünschten eine friedliche Beilegung der Sudetenkrise und so vereinbarten die beiden, vorerst ohne deutsche Anwesenheit, mit Zustimmung der tschechischen Regierung, die Abtretung der von Deutschen besiedelten Gebiete. Am 29. September 1938 wurde das Münchner Abkommen unterzeichnet. Es beinhaltete lediglich die Durchführung und den Ablauf der an Deutschland abzutretenden sudetendeutsche Gebiete. Der schlechte Ruf, welcher später dem Abkommen angehaftet wurde, entstand erst, als Hitler im März 1939 die Rest-Tschechoslowakei besetzte und das Protektorat errichtete. Die Sudetendeutschen selbst hatten mit diesem Vorgehen Hitlers nichts zu tun. Sie missbilligten die Besetzung dieser Gebiete.

Der Freude der Sudetendeutschen über die Befreiung von der tschechischen Willkür folgten bald die Verpflichtungen, die durch den Beginn des 2. Weltkrieges abverlangt wurden. Alle Arbeitslosen fanden zwar sofort wieder Arbeit, jedoch gleichzeitig erhielten viele junge Männer die Einberufung zur Deutschen Wehrmacht. Die nachbarlichen Beziehungen der Sudetendeutschen zu den Tschechen blieben weiterhin korrekt wie früher. Das tschechische Volk war während des Krieges wirtschaftlich gut versorgt und die Arbeit in den Rüstungsbetrieben garantierte den bisherigen Lebensstandard.

Als mit den letzten Kriegstagen der Vormarsch der Roten Armee in der Tschechoslowakei zum Stillstand kam, begannen im Sudetenland die Plünderungen und Vergewaltigungen durch die rote Soldateska. Das geknechtete Volk begann erst aufzuatmen, als die Russen endlich das besetzte Land wieder verließen. Nach den erlittenen Drangsalierungen sehnten viele die Tschechen herbei, in der Meinung, es würde wieder ein Zusammenleben geben wie früher in der ersten Republik nach dem 1. Weltkrieg. Leider sollte die Hoffnung erneut zur größten Enttäuschung werden. Alle männlichen Personen, auch Invaliden, wurden in Lager gebracht, wo sie bei mangelhafter Verpflegung Schwerstarbeiten verrichten mussten. Sie wurden meistens erst dann entlassen, wenn ihre Familienangehörigen zur Aussiedlung nach Deutschland eingeteilt waren. Allen Sudetendeutschen wurde die tschechischslowakische Staatsbürgerschaft aberkannt. Durch Verfassungsdekrete des Staatspräsidenten wurde die Konfiskation allen landwirtschaftlichen Besitzes und des gesamten beweglichen und unbeweglichen Vermögens angeordnet. Die Deutschen bekamen Lebensmittelkarten mit weit geringeren Mengen als die Tschechen. Jeder Deutsche musste sichtbar auf der Brust einen weißen Leinenfleck mit einem 8 x 10 cm großen schwarzen "N" (für Nemec) tragen. Das Leben wurde immer qualvoller. Auf Grund dieser Schikane waren viele so verzweifelt, dass sie den Tag der Aussiedlung herbeisehnten, in der Hoffnung, im Restdeutschland eine neue Heimat zu finden und wieder als Mensch behandelt zu werden. Ein anderer Teil hoffte insgeheim, dass sie doch nicht ihre Heimat verlassen müssten - ihr hoffen war jedoch vergebens. Bis auf ein paar Mischehen wurden alle deutschstämmigen abgeschoben.

Durch die Vertreibungsmaßnahme wurden 3,261.000 Millionen Sudetendeutsche heimatlos. Über 200.000 deutsche Menschen kamen durch die Ereignisse nach Kriegsende durch Terrorakte um ihr Leben.

Wie reich hätten die Tschechen nach 1945 werden müssen. Ein Riesenvermögen von den Sudetendeutschen lag vor ihnen. Ihr Besitz an Land, Hab und Gut, der sich mehr als verdoppelt hatte, hätte für sie ein Paradies von Wohlstand schaffen können. Es dauerte nicht lange, da war der weitaus größte Teil des geraubtes Besitzes vertan. Geblieben sind nur Hass und der Neid gegenüber den vertriebenen Sudetendeutschen. Heute müssen sich die Tschechen, die 1948 ihr Land den Sowjets endgültig ausgeliefert haben, heimlich eingestehen, dass dies kaum geschehen wäre, wenn sie die Deutschen noch im Lande hätten. Die Tschechen sind auf diese Weise arm geworden und zwar so arm wie nie zuvor. Dabei sind sie an Erfahrungen reicher und für diese büßen sie nun grausam und lange.

Ferdinand Bahner

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